Mit Beschluss vom 11.09.2024 (3 StR 109/24) hat der BGH entschieden, dass § 265 StPO den Tatrichter nicht verpflichtet, auf die mögliche Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB) hinzuweisen.
Unser Partner Dr. Yves Georg bespricht die Entscheidung in der aktuellen Ausgabe der NStZ kritisch: Zwar legt der 3. Strafsenat § 265 StPO zu Recht dahin aus, dass weder Abs. 1 („anderes Strafgesetz“) noch Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 („besonderer strafbarkeitserhöhender Umstand“) noch Abs. 2 Nr. 3 („veränderte Sachlage“) direkt oder analog eine entsprechende Hinweispflicht begründen können. Richtigerweise folgt eine solche Pflicht aber – wenngleich das bisher noch nicht vertreten wurde – aus § 265 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO analog:
Warum sich die Hinweispflicht aus § 265 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO analog ergibt:
1.
Bei den zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten, die 2021 entlassen wurden, lag die Vollstreckungsdauer ohne besondere Schwere der Schuld im Mittel bei 17,3 und im Median bei 19,2 Jahren. Mit besonderer Schwere der Schuld lag sie im Mittel bei 22,1 und im Median bei 23 Jahren. Damit kommt die Feststellung der besonderen Schuldschwere einem deutlichen „Strafaufschlag“ von mehreren Jahren (im Jahr 2021 zwischen 3,8 und 4,8 Jahren) gleich. Sie wirkt wie ein besonderer strafbarkeitserhöhender Umstand im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO.
2.
Einer planwidrigen Regelungslücke steht auch nicht entgegen, dass § 265 StPO zuletzt 2017 geändert worden ist, ohne dass zugleich eine entsprechende Hinweispflicht eingeführt worden wäre. Denn die Novellierung einer Norm in der einen Hinsicht adelt nicht schlagartig auch ihre gesamte übrige Ausdeutung durch die Rechtsprechung, so dass sie fortan vom Gesetzgeber „als eigene gewollt“ wäre. Das gilt umso mehr, wenn diese Rechtsprechung keine ständige und nicht einmal einheitlich ist. Einer solch unterkomplexen Fiktion fehlt die theoretische Statur, deren es bedürfte, um das auf ihr lastende normative Gewicht zu tragen. Von einem „beredten Schweigen“, mit dem der Gesetzgeber erkennbar eine endgültige Regelung getroffen hat, kann jedenfalls keine Rede sein.
3.
Auch in die dogmatische Struktur der Schuldschwerefeststellung und deren rechtsprechungshistorische Ausdeutung durch BVerfGE 86, 288 fügt sich sich die Erstreckung der Hinweispflicht ein, wie der Beitrag im Einzelnen darlegt.
4.
Der zweite Teil der Anmerkung widmet sich alsdann – exemplifiziert an der Besprechungsentscheidung – der Geschichte und Dogmatik der „o.u.-Verwerfung“ nach § 349 Abs. 2 StPO und schlägt eine Novellierung vor: Die Erfordernisse der „Offensichtlichkeit“ und „Einstimmigkeit“ könnten fallen: Was ohnehin behandelt wird, als wäre es nicht geschrieben, hat im Gesetz nichts verloren. Stattdessen müsste das derzeit praktizierte „Vier-Augen-Prinzip“ (nur der Vorsitzende und der Berichterstatter lesen das Urteil und die Revisionsbegründung) einem „Zehn-Augen-Prinzip“ weichen – und eine Begründungspflicht eingeführt werden. Das wäre rechtliches Gehör, das den Namen verdient.
Den ganzen Beitrag finden Sie im Heft 3 2025 der NStZ auf den Seiten 174-179 oder im digitalen Format hier.