Beschlussfassung bei Ausschluss der Öffentlichkeit

Küchenpsychologie ist auch dem Revisionsverfahren nicht fremd. Namentlich gilt das angesichts von Urteilsgründen des Revisionsgerichts, die geeignet sind, den Revisionsverteidiger in einer geradezu bipolaren Gemütslage zurückzulassen:
So verhält es sich auch mit dem Urteil des 5. Strafsenats des BGH vom 28.2.2024 – 5 StR 413/23. Die Entscheidung hebt ein Urteil des Landgerichts Bremen in einer Sexualstrafsache auf, in der die Nebenklägerin zunächst nichtöffentlich, sodann öffentlich und darauf wieder – diesmal allerdings ohne erneuten Beschluss – unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen wurde. Dies begründete den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG.

Zu erwarten gewesen wäre deshalb eine einstimmige Urteilsaufhebung durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO. Entschieden hat der Senat indessen nach einer Revisionshauptverhandlung durch Urteil, das sich zudem auf immerhin beinahe drei Seiten der Beruhensfrage widmet – notabene: angesichts eines absoluten Revisionsgrundes, bei dessen Vorliegen das Urteil gemäß § 338 StPO „stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen“ ist. Nachvollziehbar sind diese Erwägungen überhaupt nur eingedenk eines merkwürdigen, kaum tragbaren, praeter legem entwickelten Verständnisses des Wortes „stets“, das die unheilvolle Geschichte des Öffnens der „Büchse der Pandora“ durch die Relativierung absoluter Revisionsgründe prägt.

Eine Analyse

In seiner Besprechung des Urteils in der aktuellen Ausgabe der NStZ zeichnet unser Partner Dr. Yves Georg diese Entwicklung nach und hinterfragt sie. Dass der Senat nun einer weiteren Relativierung der absoluten Revisionsgründe „jedenfalls“ in der vorliegenden Konstellation keinen Vorschub leistet, beruhigt. Es wirft aber die Frage auf, was Anlass für die breiten Ausführungen zur Beruhensfrage war. Dass sie sich in einem auf Grundlage einer Revisionshauptverhandlung ergangenen Urteil – und nicht in einem Einstimmigkeit im Senat erfordernden Beschluss nach § 349 Abs. 4 StPO – finden, lässt besorgen, dass sie nicht etwa der Absicht besonders deutlicher Abgrenzung oder aber dem Anliegen angemessener Entgegnung auf einen „o. u.“-Antrag des Generalbundesanwalts galten, dem mit einem knackigen „4er-Beschluss“ auf die Füße zu treten nicht recht schicklich gewesen wäre. Vielmehr dürfte es Manifestation eines der fehlenden Einstimmigkeit geschuldeten „Kompromisses“ gewesen sein. Das wiederum wäre ein Alarmzeichen. Es ließe befürchten, dass auch in Zukunft mehr und mehr solcher schöner, „bloße(n) Förmlichkeit(en)“ geltender Verfahrensrügen durch die Materialisierungstendenzen im Revisionsverfahren, deren Kulminationspunkt eben die Relativierung des von Gesetzes wegen Absoluten ist, zusehends infrage gestellt werden. Ist es da zu pathetisch an von Jherings mahnende Worte von der Form als „geschworene(r) Feindin der Willkür“ und „Zwillingsschwester der Freiheit“ zu erinnern, die sich – so der seltener zitierte Teil seiner Sentenz – „nur brechen, nicht biegen“ lasse?

Die Entscheidung des BGH zur Beschlussfassung bei Ausschluss der Öffentlichkeit sowie den Praxiskommentar von Dr. Yves Georg können Sie hier nachlesen.

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